Verstopfter Schornstein
Frühjahr 1958: Dohlen flatterten wieder einmal um den weit sichtbaren Kamin der Michaeliskirche. An zwei seiner Seiten waren Kreuze in das Mauerwerk eingelassen, ein dekorativer Ziegelkranz umrahmte den Rand an der Spitze. Der Schornstein lockte ganze Schwärme der schwarzen Rabenvögel an und diente ihnen als idealer Nistplatz. Die Tiere waren superschlau und erfinderisch: Sie warfen so lange kleine Äste und Reisig in den oben offenen und nur durch ein Drahtgitter gesicherten Schornstein, bis sich darin ein Stück verfangen hatte. In zahllosen Flügen schichteten sie weiteres Baumaterial zu einer meterdicken Schicht auf, die fast bis zur oberen Kante des Rauchabzugs reichte. Dort brüteten dann die raffinierten Vögel auf ihren hellblau-grünen, graugefleckten Eiern – sehr zum Ärger der Kirchengemeinde. Der Rauch aus der Dampfheizung konnte nun nicht mehr abziehen und unten qualmte es. Die Schwaden bissen den Gläubigen in die Augen und verursachten ungewollte Tränen. Der Schornsteinfeger hatte keine Chance, die Astblockade zu durchbrechen – auch nicht mit der schwersten an einer Kette befestigten Kugel. So musste der verstopfte Kamin ausgebrannt werden. Bedenken mit Blick auf den Tierschutz hatte es damals offensichtlich nicht gegeben. Der Vorschlag aus der Bevölkerung, auf dem Kirchendach neben dem Kamin eine große Vogelscheuche aufzustellen, blieb dem ehrwürdigen Gotteshaus erspart. Für die ungehinderte Abluft der modernisierten Heizungsanlage sorgt heute ein schlichter Schornstein. Dohlen können das Gemeindeleben nicht mehr beeinträchtigen.
Dr. Gerhard Braas